Fabian Kostadinov

Reaktion auf die Verschwörungstheoretiker im Falle Charlie Hebdos

Und erneut schreiben sie wieder - die Verschwörungstheoretiker. Diesmal im Falle Charlie Hebdos. Gar nicht tot, sei er, der erschossene Polizist. Als “Beweis” wird irgendein obskurer Videomitschnitt gezeigt. Es gibt viele Gründe, sich das nicht näher anzuschauen. Eine Reaktion - aus Empörung, man darf es sagen - hier trotzdem.

Der Verschwörungstheoretiker ist eigentlich ein Anti-Aufklärer. An die Stelle von Gott, der alles lenkt, setzt er menschliche, dunkle Kräfte, die hinter allem stehen sollen. Damit widerspricht er jedoch der wissenschaftlichen (und somit aufklärerischen) Denkweise, welche postuliert, dass im Normalfall die einfachste Erklärung auch die plausibelste ist. Denn der Verschwörungstheoretiker hält die einfachste Erklärung für Propaganda der dunklen Kräfte, die er ja vorher postuliert hat. Jeder Versuch, ihn zu widerlegen, interpretiert der Verschwörungstheoretiker danach als Beweis für die Richtigkeit seiner eigenen Thesen. Er ist dadurch immun geworden für das, was die Aufklärer “Vernunft” nannten.

Faszinierenderweise teilt der Verschwörungstheoretiker somit zumindest in Teilen die Position jener, die bestrebt sind, die freiheitliche und aufgeklärte Gesellschaft in eine unfreiheitliche und vor-rationale Gesellschaft zurückzuverwandeln. Beiden ist nämlich gemein, dass sie sich gegen die Aufklärung wenden - die einen tatkräftig, die anderen wenigstens geistig. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen besteht jedoch auch darin, dass die erste Gruppe (beispielsweise die Terroristen oder der IS) relativ plump agieren. Wer nicht glauben will, der wird halt beseitigt.

Die zweite Gruppe bedient sich eines viel raffinierteren Manövers. Sie kleidet ihre Argumente in ein pseudo-wissenschaftliches Gewand, welches danach nur sehr schwierig und unter äusserster Anstrengung wissenschaftlich widerlegt werden kann. Wer nicht glauben will, der muss ungeheure Anstrengungen unternehmen, um zu widerlegen, was der Verschwörungstheoretiker behauptet hat. Mit denselben Mitteln der Verschwörungstheorie operierten übrigens die Nazis, als sie versuchten, “den Juden” gegenüber dem Rest der Bevölkerung zu verunglimpfen. Welcher Normalbürger besass damals schon die Möglichkeit, die wüsten, jedoch subtilen Behauptungen zu widerlegen?

Faszinierenderweise hält der Verschwörungstheoretiker keinerlei Lösung bereit. Nie sagt er etwas darüber aus, welche seiner Behauptungen eigentlich welche konkreten Handlungen nach sich ziehen müssten. Was wäre beispielsweise im Fall Frankreich konkret zu tun, das über das blosse Abschaffen von Geheimdiensten hinausginge?

Die - einfache aber nicht einfach zu akzeptierende - Wahrheit lautet: Den Grossen Anderen gibt es nicht. Er ist nirgendwo da draussen, und die Macht, von der wir glauben, dass Er sie habe, ist das, was wir an Macht von uns selbst abgespaltet haben.
Möglicherweise, oder auch nicht, gibt es hier eine enge Verbindung zum Ödipuskomplex. Der Verschwörungstheoretiker lehnt sich gegen das Verbot zu wissen auf. So wie das Kind nicht wissen darf, was hinter den verschlossenen Türen des elterlichen Schlafzimmers eigentlich passiert. Die Eltern, wahrgenommen als übermächtige Wesen mit unverständlichen Kräften, tun Dinge, von denen das Kind nur eine vage Ahnung hat. Die Erfahrung der Ohnmacht des Jungen gegenüber dem eigenen Vater, oder auch des Mädchens gegenüber der eigenen Mutter, bildet das Grundgerüst für die spätere Projektion in eine tatsächlich vorhandene oder auch nur scheinbar wahrgenommene Obrigkeit. Die Auflehnung ist eine Auflehnung gegen das ödipale Verbot.
Aber unabhängig davon, wie sehr oder wie oft sich der Verschwörungstheoretiker gegen jene dunklen Kräfte auflehnt, es nützt am Ende doch nichts. Seit den frühen Verschwörungstheorien über die Illuminaten hat sich im wesentlichen nichts geändert, nur das Medium zur Verbreitung der Theorien hat sich globalisiert. Die Inhalte sind letztlich dieselben. Die Macht, die die dunklen Kräfte angeblich haben sollen, ist eine blosse Projektion. Als Beispiel können gleichermassen die Wall Street-Finanzunternehmen oder die Geheimdienste gelten. Beide operieren, bei näherer Betrachtung, reichlich dilettantisch. Wer einmal hinter die Fassade der Marmorgebäude und automatischen Türen geblickt hat, der kennt aus eigener Erfahrung den Grad an Dilettantismus, welcher in den Chefetagen angeblicher Weltenlenker herrscht.

Es gehört zum Erwachsenwerden dazu, die Vorstellung zu hinterfragen und schliesslich fallenzulassen, die eigenen Eltern hätten irgendeine Ahnung gehabt, was sie eigentlich tun, oder wie sie ihre eigenen Kinder zu erziehen hätten. Auch dazu gehört, die Scham schliesslich loszulassen, die mit der Erkenntnis über die Hilflosigkeit der eigenen Eltern einhergeht. Wenn die Eltern doch keine übermächtigen Wesen sind, dann sind sie am Ende halt einfach nur Menschen. Doch die Verschwörungstheoretiker wollen nicht erwachsen werden. Sie wollen nicht Verantwortung übernehmen für das fröhliche und bisweilen auch grausame Chaos, das in der Welt herrscht, und an dem sie täglich teilnehmen. Der Verschwörungstheoretiker weigert sich letztlich, erwachsen zu werden. Den Schatten, den er projiziert, will er nicht zurücknehmen. Die Ohnmacht, die er empfindet, will er nicht als seine eigene verdrängte Hilflosigkeit anerkennen. An die Stelle von Selbsterkenntnis, setzt der Verschwöruntstheoretiker die Projektion. So hilft er ironischerweise fleissig mit, das Dunkle im Dunkeln zu belassen. Ausgerechnet die Wahrheit des Lichts der Aufklärung, die er für sich in Anspruch nimmt, scheut er.

Interessant zum Thema: The Big Other Doesn’t Exist - Slavoj Zizek.

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